Von faulen Philosophen

Marisa Kurz hat einen Master in Chemie und Biochemie, studiert Philosophie und hat vor in Biochemie zu promovieren. Auf Spiegel Online beschreibt sie unter dem Titel “Stress im Studium: Ausgebrannte Chemiker, faule Philosophen” den Eindruck, den sie vom Arbeitspensum in Natur- und Geisteswissenschaften hat. Nach ihren Rechnungen kam sie in Chemie in der Regel auf bis zu 60 Wochenstunden Arbeit, während in Philosophie 22 Stunden ausgereicht hätten. Daraus leitet Sie ein Missverhältnis im Arbeitspensum ab. Sie schreibt, “[i]n dem einen Fach sieben wir aus, in dem anderen sieben wir durch. Das wird keinem Fach gerecht.”

Was ist davon zu halten?

Eine gute Beobachtung, aber auch keine, die gänzlich repräsentativ ist. Es sind nur Schilderungen von einer Uni in einem Bundesland. Ich studiere Philosophie an der Universität Hamburg und wenn dort jemand mit 22 Wochenstunden durchkommt, dann ist es vermutlich ein Teilzeitstudent mit einem grottigen Notendurchschnitt. Mein Mitbewohner studiert Biologie und hat zwar weniger, aber nicht viel weniger Freizeit als ich, dennoch scheint die Tendenz, auf die Marisa Kurz verweist, auch an meiner Uni zu bestehen. In Biologie fallen häufiger Studierende durch, während in Philosophie fast jeder durchkommt. Es ist zwar in Philosophie nicht so, dass jeder eine sehr gute Note bekommt, aber die meisten bestehen die Prüfungen, selbst wenn sie wenig lesen und den Stoff eigentlich nicht verstanden haben. Ein schlechter Philosophie-Bachelor ist auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu einem Bachelor in einer Naturwissenschaft mit dem gleichen Durchschnitt jedoch kaum etwas wert und wer wirklich mit Freude und Erfolg Philosophie studieren will, der hat in Hamburg weit mehr als 22 Wochenstunden zu tun, liest und schreibt viel, muss sein Studium in hohem Maße selbst organisieren und behandelt dabei komplizierte Argumentationen, bei denen sehr genau auf die logische Struktur zu achten ist. Dennoch: Der Spiegel-Artikel ist zwar in Teilen reißerisch, aber er macht auf eine Tendenz aufmerksam, die besteht und die man ungerecht finden kann.

Warum schreibe ich dann darüber einen Artikel? Wegen den Kommentaren!

So schreibt etwa der user “multi_io” bei Spiegel Online einen Kommentar, in dem er suggeriert, dass Philosophie bloßes Gerede sei: “Da schreibt man in der Klausur halt irgendwas, und wenn dem Prof das gefällt, kriegt man eine 1, sonst nicht. Wenn Philosophie überhaupt sinnvolles beizutragen hat, dann am ehesten dort, wo sie sich als Naturwissenschaft geriert und überprüfbare Aussagen macht — aber dann hätte man auch gleich beim Original bleiben können.” Zunächst einmal ist Naturwissenschaft nicht das Original. Vielmehr ist die Naturwissenschaft aus dem Denken der Vorsokratiker historisch hervorgegangen. Dann würden die wenigsten Philosophen Philosophie als Wissenschaft bezeichnen, was ohnehin ein mehrdeutiger Ausdruck ist, der auf die unterschiedlichsten wissenschaftstheoretischen Begriffe verweist, wobei Wissenschaftstheorie genuin philosophisch ist. Philosophie ist es eine Metadisziplin, die Begriffe und Methoden klärt. Der user “Dr Text” suggeriert, dass es in den Geisteswissenschaften keine Leistungsnachweise gibt, wenn er schreibt: “Leistung und Leistungsnachweise könnten in den Geisteswissenschaften nicht schaden.” Diese gibt es. Man bekommt auch in Philosophie keinen Schein geschenkt. Dass die Durchfallquoten niedriger sind, bedeutet nicht, dass in Philosophie keinerlei Leistung und Leistungsnachweise existieren. Es existiert ein x für das gilt: x ist Philosoph und x ist nicht faul. Die Allaussage, dass alle Philosophen faul seien, die in manchen Köpfen herumschwirrt, ist zu negieren.

Auf studiblog.de gibt es eine Replik auf den Artikel auf Spiegel Online. Es wird in einem recht reißerischen Stil die Situation, die Marisa Kurz im Große und Ganzen sachlich beschreibt, verallgemeinert paraphrasiert und kommentiert. Im Artikel und in der Umfrage wird suggestiv vorgeschlagen, Philosophie als Hauptfach gleich abzuschaffen oder zumindest nicht in der Form bestehen zu lassen, wie es jetzt existiert, was von Bundesland zu Bundesland und Uni zu Uni eben sehr unterschiedliche Formen sind.

Das ist unsachliches humanities-bashing. Vermutlich wissen die wenigsten derjenigen, die sich in den Kommentaren über faule Philosophen aufregen, dass Philosophie eben gerade nicht nur Gerede ist, sondern traditionell stark mit Logik und rationaler Reflexion verbunden ist.  ”Kein Nichtgeometrischer soll hier eintreten“, soll auf dem Tor zu Platons Akademie gestanden haben. Wichtige Philosophen wie Bertrand Russel und Frege haben elementare Beiträge zur Mathematik geliefert. Einstein hat sich stark für Philosophie interessiert. Philosophie ist kein Gelaber, sondern die Reflexion der Begriffe und Methoden in den anderen Wissenschaften. Die psychologischen und sozialwissenschaftlichen Diskussionen um quantitative Methoden waren im wesentlichen philosophische Diskussionen. Philosophie als Spielerei zu diffamieren, schadet der Gesellschaft und der Wissenschaft, weil sie wichtig ist, um zu verstehen, wie wir denken und handeln. Die Philosophie selbst ist wichtig. Forderungen danach, die Zügel anzuziehen, mögen angesichts der Strenge in den MIN-Fächern verständlich sein, doch vll. sollten sich die MIN-Fächer auch eher an die Philosophie anpassen. Unsere Gesellschaft braucht kluge Köpfe, die selbst wissen, wie sie ihre Zeit sinnvoll nutzen und keine ausgebrannten und frustrierten Burn-Out-Patientien. Leistungsforderungen bieten Anreize und sind sinnvoll – in Maßen, aber wenn unsere Gesellschaft im ständigen Konkurrenzkampf verlernt, inne zuhalten, achtsam zu sein, zu träumen und zu reflektieren, dann läuft etwas falsch. Ich freue mich darüber, dass ich im Philosophiestudium auch mal den Freiraum habe, mich mit Themen zu beschäftigen, die abseits des Mainstreams liegen. Ich glaube nicht, dass ich faul bin. Freiraum ist nicht hinreichend für Faulheit, aber notwendig für selbstständiges Lernen.

Bildung im Wettbewerb – Über Bildungsgutscheine

Eine traditionelle Rolle des Staates wird darin gesehen, dass er die Bildung seiner Bürger mindestens in einem gewissen Maße garantiert. Milton Friedman, Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften und Gegenspieler von John Maynard Keynes, hat sich allerdings schon 1955 Gedanken darüber gemacht, wie sinnvoll das staatliche Bildungsmonopol ist und es in Teilen in Frage gestellt. Da Friedman sich als klassischer Liberaler sah, hatte er eine große Skepsis gegenüber zu großer Macht des Staates, die er in vielen wissenschaftlichen Arbeiten und wirtschaftswissenschaftlichen sowie philosophischen Essays argumentativ zum Ausdruck brachte, in denen er die positiven Auswirkungen des Wettbewerbs in der Wirtschaft betonte.

Im Bildungsbereich plädierte er für eine Kombinationsmöglichkeit aus Privatisierung und staatlichem Bildungsauftrag in Form von Bildungsgutscheinen. Der Staat soll dabei den Eltern von schulpflichtigen Kindern Gutscheine geben, die diese gegen Bildungsleistungen bei privaten, aber staatlich zertifizierten Bildungseinrichtungen eintauschen können. So kann der Staat die Voraussetzung dafür schaffen, dass jedes Kind Schulbildung in Anspruch nehmen kann, dass dabei Schulpflicht möglich ist und dass zugleich Wettbewerb im Bereich der Bildung existiert, der im Rahmen von Konkurrenz dazu führen soll, dass sich die Leistung der Schulen verbessert und dass mehrere didaktische Konzepte empirisch ausprobiert werden. Außerdem ermöglicht ein solches System Eltern mehr Wahlmöglichkeiten.

In Chile wurde und wird dieses Konzept erprobt, wobei neben privaten Schulen auch staatliche Schulen zur Verfügung stehen, bei denen man die Gutscheine einlösen kann. Neben den Gutscheinen werden dabei von privaten Schulen seit 1993 auch zusätzliche Gebühren nach eigenem Ermessen erhoben.

Zu den Auswirkungen des Gutschein-System gibt es mehrere Studien und wissenschaftliche Arbeiten, so etwa die Einschätzungen von Chang-Tai Hsieh und Miguel Urquiola von der Columbia University, die in ihrer Studie “The effects of generalized school choice on achievement and stratification: Evidence from Chile’s voucher program” (2006) keinen besondern Anstieg der akademischen Leistungen und der Schulleistungen der Schüler, aber große soziale Segregation als Resultate sehen. Private Schulen würden dabei vor allem die besten Schüler rekrutieren und nicht etwa die Qualität der Lehre selbst signifikant steigern. Die Schüler von privaten Schulen würden zwar besser Leistungen zeigen, dies lasse sich jedoch auf Effekte zurückführen, die auf das Vorsortieren zurückgehen und die, wenn sie herausgerechnet werden, darauf verweisen, dass erwartete wettbewerbsbedingte Leistungssteigerungen selbst bei den Privatschülern ausbleiben. Andere Studien sehen geringe Verbesserungen der Schulleistung, aber auch größere Abhängigkeit von sozio-ökonomischer Herkunft.

Zu einem Desaster haben die Bildungsgutscheine jedenfalls nicht geführt. Es gab keine Verschlechterungen oder Engpässe, was vermutlich auch auf die Versorgung durch public schools zurückzuführen ist. Fraglich bleibt, inwieweit man aus den begrenzten Daten aus Chile zu einer abschließenden Gesamtbeurteilung kommen kann. Möglicherweise zeigen sich starke positive Effekte erst nach einigen Jahrzehnten. Schließlich muss auch erst einmal empirisches Material gesammelt werden, das ausgewertet wird und erst dann zu didaktischen Anpassungen führen kann. Möglicherweise gibt es in Chile auch besondere Auswirkungen von speziellen Parametern wie etwa die Schüler-Auswahlmöglichkeiten der Schulen, die man anders gestalten könnte. Die mangelnde Chancengleichheit lässt sich vielleicht im Wesentlichen darauf zurückführen, dass zusätzliche Studiengebühren erhoben wurden. Was Bildungsgutscheine im jeden Fall bieten, ist eine größere Vielfalt, die den Eltern mehr Wahlmöglichkeiten bieten. Ob sie auch die Effizienz der Lehre steigern, kann abschließend noch nicht beurteilt werden.

“Einmal im Leben kann man den Fehler begehen, zu einer Strukturvertriebsveranstaltung zu gehen” …. oder 4life, Vertrieb ohne Produkt …

Ich bin jung, neugierig und habe wenig zu verlieren. Das hat mich heute im Rahmen meiner Xing-Aktivitäten, die mir auch tatsächlich schon Jobmöglichkeiten eröffnet haben, zu einer “Unternehmenspräsentation” geführt. Ich war schon skeptisch, weil die Anfrage auf Xing diffus war, aber ich dachte mir, dass ich nichts Besseres vorhabe. “There ain’t no such thing as a free lunch”, aber ein Sonntag, dessen Zeit man eh nur totschlagen möchte, ist quasi geschenkt und ich wollte wissen, wozu ich da eingeladen worden bin … Es gehe um Themen wie Freiheit, die mich laut Xing interessieren würden, sagte man mir am Telefon. Vielleicht, weil ich dort die politische Philosophie des Liberalismus als Interessengebiet angegeben habe.

Also machte ich mich auf den Weg. Als ich in den schicken Räumen mit Business-Flair inmitten Hamburgs ankam, wurde mir Wasser angeboten. Ich wurde freundlich mit Handschlag begrüßt und mir wurde extra ein Platz neben ein paar netten, in das Konzept der Veranstaltung vermutlich involvierten jungen Männern zugewiesen, die aussahen, als würden sie an einer Elite-Uni BWL studieren oder als wären sie schlicht Bankkaufleute. Ich war sehr gespannt, was nun passieren würde.

Der Vortrag begann und es wurden euphorische Ankündigungen gemacht, dass hier eine sehr wertvolle Information vermittelt werden würde. So inhaltsleer und nebulös blieb es die nächste zehn Minuten. Es wurde ein wenig Pseudowissenschaftliches über die Wirtschafts- und Arbeitswelt geredet. Die Rednerin hat sich als erfolgreiche Unternehmensberaterin zu profilieren versucht und das zweifelhafte Versprechen genährt, dass man mit der bald folgenden super wertvollen Information quasi Geld verdienen kann, ohne Zeit zu investieren. Außerdem fiel der philosophische Satz “Wenn Zeit & Arbeit in einer Balance sind, haben sie keine Bedeutung mehr.” Wann sind Zeit und Arbeit in der Balance und wenn man davon sinnvoll sprechen kann, was soll es dann heißen, dass sie dann keine Bedeutung mehr haben, mag sich der Philosoph da fragen? Vielleicht heißt es soviel wie dass derjenige, der sein Zeitmanagement optimiert hat, sich erst einmal um andere Dinge sorgen muss, als um Zeitmangement, weil das ja im Lot ist. Exegetisch auf jeden Fall sehr interessant und man hat in der Kirchengeschichte schon versucht, Bedeutungsloseres auszulegen ….

Ich wurde auf jeden Fall immer enttäuschter und begann mich zu fragen, ob inhaltlich noch etwas kommen würde … Tatsächlich kam nach ein paar weiteren diffusen Betrachtungen zum Wirtschaftsleben, der Rente, der Politik, dem Universum und Allem eine nun zwar schockierende, aber doch irgendwie erlösende Produktbeschreibung, die ich kurz in meiner Übersetzung zusammenfassen möchte: Teure Nahrungesergänzungsmittel, die nichts enthalten, wovon man als wissenschaftlich denkender Mensch eine Wirkung erwarten kann, die größer ist als bei Placebos …

WUHU Also dafür saß ich hier. Und was sollte ich nun tun? Warum der ganze Aufwand, fragte ich mich?

Die Antwort: Die Anwesenden wurden als Kettenglieder im Strukturvertrieb angeworben, mit einem nur ganz kleinen Jahresbeitrag … Wenn man diesen Schund verkauft, dann lockt für einen selbst angeblich das große Geld. Das klingt natürlich nicht so überzeugend, wenn man basale analytische Sätze über das Wirtschaftsleben verstanden hat, aber egal, irgendjemand im Saal wird schon dumm genug sein …. Ich hatte auf jeden Fall genug, ich ging hinaus und sagte zu anderen jungen Leuten, die auch gingen: “Na, seid ihr auch traurig wegen der verschenkten Lebenszeit.” Darauf kam die Antwort: “Einmal im Leben kann man den Fehler begehen, zu einer Strukturvertriebsveranstaltung zu gehen.” Ich fragte noch, ob man Kokain nehmen müsse, um so einen Vortrag halten zu können und die Leute witzelten, dass das nah dran sei, aber dass Speed vll. geeigneter sei … Zuhause schmiss ich den Computer an und googetle 4life, das Strukturvertriebsunternehmen, das – direkt oder indirekt – präsentiert wurde. Es fanden sich ziemlich viele positive Berichte auf den ersten Suchmaschinenseiten … Ich bin fasziniert und verblüfft … Die menschliche Dummheiten muss wirklich so groß sein, dass jemand bereit ist, eine Menge Geld in SEO, Akquise und schöne Räume sowie enthusiastische Redner zu investieren, auch wenn er keinerlei wirkliches Produkt vorzuweisen hat ….. Den Fehler, bei Xing nicht genau nachzufragen, worum es geht, wenn die Anfrage diffus bleibt, werde ich zumindest nicht wieder begehen .. Dass ich bei so einer Veranstaltung zugegen war, war kein Fehler, weil es interessant war, bleibt aber wohl tatsächlich eine einmalige Sache …